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Ausverkauf der kommunalen Wohnbestände und Nachteile von Privatisierungen am Beispiel Kiel

Insbesondere in den 90gern und 2000er- Jahre haben unzählige Kommunen und Städte wertvolle Allgemeingut an profithungrige Investoren verschachert. Auch, um die kaputtgesparten Gemeinden und Großstädte zu sanieren. (Quelle: NDR)


Wie Kiel 11.000 Wohnungen an einen Investor verkaufte

Die Zahl der öffentlich geförderten Wohnungen in Schleswig-Holstein steigt trotz stark gestiegener Fördersummen nur langsam. Das liegt laut Innenministerium unter anderem an hohen Baupreisen. Der Städtetag meint, dass kommunale Wohnungsbaugesellschaften bald wieder eine größere Rolle spielen, wenn es darum geht, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Viele Städte haben ihre eigenen Wohnungen Ende der 1990er-Jahre verkauft. Wozu das führen kann, zeigt ein Blick nach Kiel.

von Daniel Kummetz


Dieser Block hat schon mal bessere Tage gesehen: Die leicht rosa-farbene Fassade ist an vielen Stellen verdreckt, an einem Fenster sind Brandspuren zu sehen. Fünf aneinander gebaute, unterschiedlich hohe Hochhäuser bilden hier in Kiel-Mettenhof zusammen einen Riegel. Es ist das Zuhause von Hunderten Menschen und gehört zu den Beständen von Vonovia. Das ist noch nicht sehr lange so: Die Stadt Kiel hat diesen Block und viele weitere Häuser vor 20 Jahren verkauft - die komplette Kieler Wohnungsbaugesellschaft (KWG) mit ihren 11.000 Wohnungen ging für 128 Millionen Euro an den Finanzinvestor WCM AG. Pro Wohnung erhielt die Stadt im Schnitt etwas weniger als 12.000 Euro. Drei Weiterverkäufe und eine Fusion später gehören die früheren KWG-Wohnungen nun zu dem Bestand des Bochumer Immobilienkonzerns.


Erst verkaufte Kiel, dann viele andere


Heute gäbe es für so einen Verkauf keine Mehrheit mehr in der Kieler Ratsversammlung. Ganz im Gegenteil: Im vergangenen Jahr erhielt die Stadtverwaltung von dem Kommunalparlament den Auftrag, eine neue kommunale Wohnungsbaugesellschaft aufzubauen. In Berlin fordert eine Initiative einen Bürgerentscheid über die Enteignung von großen Wohnungsunternehmen.

In den Jahren 1998 und 1999, als der Verkauf Thema war, gab es kaum Widerstand gegen das Vorhaben in Kiel. In Schleswig-Holstein war die Landeshauptstadt gar eine Art Trendsetter. In den folgenden Jahren verkauften viele Kommunen und auch das Land die eigenen Wohnungsbaugesellschaften, sodass es heute fast keine mehr gibt.


SPD wollte Haushalte sanieren


"Wir hatten damals einen Modernisierungstrip", sagt Bernd Heinemann. Er ist heute Landtagsabgeordneter der SPD, war in der Zeit Mitglied der Ratsversammlung für seine Partei und stimmte damals für den Verkauf - was er heute bereut. Die Sozialdemokraten stellten den Oberbürgermeister, Norbert Gansel war ein Jahr zuvor ins Amt gekommen. Und sie hatten bei den Kommunalwahlen 1998 die absolute Mehrheit geholt. Modernisierung hieß für die Kieler SPD auch: Die Haushalte sollten saniert werden. "Wir wollten nicht mehr die Partei sein, die das Geld verschwendet", sagt Heinemann.

Private Unternehmen als "Heilsbringer"


Die Lage in Kiel war damals schwierig: Die Stadt schrumpfte, Wohnungen standen leer. Etwas mehr als 230.000 Menschen lebten 1998 in Kiel, 20.000 Menschen weniger als heute. Und die Erwartung bei vielen war, dass es so weiter geht. "Unser Stand war: Wir werden in Kürze nur noch 210.000, vielleicht nur noch 200.000 Einwohner haben", sagt Heinemann. In der SPD-Fraktion seien Konzepte vorgestellt worden, wie man Geschosse von Wohnblocks in Mettenhof abtragen könnte, um den Leerstand zu verkleinern.

Gleichzeitig fehlte der Stadt im laufenden Betrieb Geld - und sie saß auf einem großen Schuldenberg. Dazu kam: Damals waren viele der Überzeugung, dass private Unternehmen Aufgaben besser erledigen können als öffentliche. "Das waren damals sozusagen die Heilsbringer", erinnert sich Heinemann.


Viel Leerstand bei der städtischen KWG

Die Kieler Wohnungsbaugesellschaft hatte vor allem einfache Wohnungen im Programm. Viele Mieter bekamen Hilfe vom Staat, viele der 11.000 Wohnungen lagen in den Stadtteilen Gaarden und Mettenhof, keine begehrten Wohngegenden. Im Jahresabschluss für das Jahr 1998 beschreibt die damals noch städtische Firma das als "in wirtschaftlicher Hinsicht schwierig". Gewinn machte das Unternehmen zwar noch, aber nicht im Kerngeschäft: Vor allem durch Verkäufe von Wohnungen und Geschäfte als Bauträger, als Investor, entstanden Gewinne. Das Vermietungsgeschäft war zäh. Die Leerstandsquote betrug 4,8 Prozent - jede 20. KWG-Wohnung stand also leer.

SPD und CDU taten sich für Verkauf zusammen

In einem ersten Schritt beschloss die Ratsversammlung am 14. Mai 1998 grundsätzlich, dass die KWG verkauft werden sollte. Auch wenn die SPD mit ihrer starken Stellung in der Stadt damals die Privatisierung durchsetzte, war der Impuls von der CDU-Fraktion gekommen. Sie war es, die zuerst den Antrag einbrachte, die KWG zu verkaufen.

Die CDU zog diesen dann später zurück - zugunsten eines gemeinsamen Antrags mit den Sozialdemokraten. Der wurde in einem italienischen Restaurant ausgehandelt, wie sich Arne Wulff, damals Chef der Kieler CDU-Ratsfraktion, erinnert. "Wir haben uns dann bei 'Toni' getroffen und das besprochen - bei einem Teller Spaghetti." Die Gesprächspartner einigten sich auf eine Linie und gewannen ihre Fraktionen für den Deal.

Im Mai 1999 schließlich präsentierte Oberbürgermeister Gansel einen Kaufvertrag, dem die Ratsversammlung zustimmen musste. Die gebotene Summe, 250 Millionen DM, beflügelte die Befürworter des Verkaufs. "Das war unglaublich", sagt Heinemann. Es übertraf seine Erwartungen. "Viele Analysten haben gesagt, ihr bekommt höchstens hundert Millionen."


Mieterverein organisierte Kampagne

Der Kieler Mieterverein versuchte, gemeinsam mit den KWG-Mitarbeitern den Verkauf zu verhindern. Kopf hinter der Kampagne war Jochen Kiersch, damals Geschäftsführer des Mietervereins, heute Vorsitzender. Die Verkaufsgegner argumentierten damals vor allem damit, dass Kiel weiter Wohnungen braucht für Menschen mit wenig Einkommen - und eine Möglichkeit verliert, die Mieten zu beeinflussen. Und es gab grundsätzliche Vorbehalte gegen einen privaten Besitzer.

"Für uns war klar: Wenn ein Finanzinvestor dieses Unternehmen in die Hände bekommt, dann wird er sparen an der Instandhaltung und die Mieten hochsetzen", sagt Kiersch heute: "Finanzinvestoren sind das Krebsgeschwür einer sozialen Wohnraumversorgung."

Die Verkaufsgegner blickten damals positiver auf Kiels Zukunft: "Wir hatten nicht die Befürchtung, dass ein dauerhafter Wohnungsleerstand entsteht", sagt Kiersch. Das sei eine schwierige Situation in dem Augenblick gewesen. Aber: "Wir waren der Meinung, da muss man durch." Denn der Mieterbund war sich sicher: "Es werden auch wieder Leute in die Stadt ziehen", sagt Kiersch. Im Wohnungsmarkt habe es schon immer Wellenbewegungen gegeben.


Protest blieb überschaubar, Rat stimmte Verkauf zu


Mieterbund und KWG-Mitarbeiter sammelten 7.000 Unterschriften und organisierten Demonstrationen. Aber so richtig in Fahrt kam der Protest nicht. Kurz bevor der Verkauf 1999 an die WCM AG beschlossen werden sollte, überlegte der Mieterbund, ein Volksbegehren gegen die Privatisierung anzustoßen. Doch bevor es damit losging, kam von der Kommunalaufsicht das Signal, dass so ein Begehren wahrscheinlich unzulässig wäre. Es hätte schon im Jahr zuvor begonnen werden müssen. Der Mieterbund ließ es nicht darauf ankommen. Am 9. Juli 1999 stimmte die Ratsversammlung mit großer Mehrheit im zweiten Schritt dann dem konkreten Kaufvertrag zu. "Das war eine Pleite, die mich heute noch ärgert", sagt Kiersch.


SPD-Politiker: "Wir waren besoffen von der Idee"


"Ich betrachte die Entscheidung als Fehler, weil ich jetzt weiß, dass Kiel eine wachsende Stadt ist", sagt Heinemann. Damals habe er die Entscheidung für den Verkauf als nachvollziehbar erlebt, sagt er - blickt aber auch kritisch darauf, wie sie zustande kam. "Wir waren besoffen von der Idee, für Kiel eine gute, privatisierte Lösung zu finden, die lange anhält."

Eigentlich wäre eine Genossenschaftslösung, für die sich andere Kommunen beim Verkauf entschieden, durchaus denkbar gewesen, sagt Heinemann. "Aber in dem Strudel, in dem wir uns damals befunden haben, haben wir andere Prioritäten gesetzt." Es sei einfach nicht genug Zeit gewesen, Modelle zu Ende zu denken. "Wenn wir das aus heutiger Sicht angucken, dann müssen wir uns die Haare raufen."

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